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Woelki-Predigt als PDF zum Download
Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch: Verantwortung wahrnehmen
Die Wahlen zum Deutschen Bundestag liegen hinter uns. Auch wenn viele enttäuscht sind, so gilt doch: der Wahlkampf ist vorbei. Anstatt sich verletzt zurückzuziehen, vor der Verantwortung zu fliehen und die Wunden zu lecken, heißt es, nach vorne zu schauen. Die Wähler haben den Abgeordneten Verantwortung übertragen, Verantwortung auf Zeit. Dessen müssen sich alle Gewählten bewusst bleiben. Und sie tragen Verantwortung für das Ganze: Für unser Volk, für unser Land, für Europa und darüber hinaus. Sie sind nicht nur ihren Wählern verpflichtet, sondern Gott, dem Grundgesetz, Ihrem Gewissen, dem Wohl aller.
Gerade nach einem z.T. verletzenden Wahlkampf und nach einem herausfordernden Ringen um den richtigen Weg stehen die Zeichen der Zeit nicht auf Zementierung der Unterschiede, sondern auf Besinnung, Brückenbau und Suchen nach einem gemeinsamen Weg. Demokrat sein heißt nicht: Feindschaft pflegen, einander „in die Fresse hauen", sondern aufeinander zugehen. Demokrat sein heißt, nicht zuerst das eigene Fortkommen und die eigene Klientel im Blick haben, sondern das, was dem Ganzen und damit möglichst allen zugutekommt. Die Bundestagswahlen und die anstehende Regierungsbildung haben die Chance, mit neuem Elan die anstehenden Aufgaben in Verantwortung vor Gott und den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zum Wohl aller anzugehen. Die Zeichen der Zeit stehen auf Nachdenklichkeit, Gemeinsinn und Brückenbau im Blick auf unsere gemeinsame Zukunft.
Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch, Freiburg
Prof. Dr. Hubertus Brantzen: Le Pen und die Angst
Der Wahlausgang der ersten Runde zur Präsidentenwahl in Frankreich lässt für Europa hoffen. Wie es aussieht, wird Emmanuel Macron wohl das Rennen um das erste Amt in unserem Nachbarland gewinnen. Aufatmen ja. Aber damit ist das Problem des Rechtrucks à la Le Pen in Frankreich und vielen europäischen Ländern nicht vom Tisch. Was treibt die Menschen dazu, auf populistische Parolen zu hören? Was wird in ihnen angerührt, wenn fremdenfeindliche Töne angestimmt werden?
Ich meine, es ist die Angst hinter der Angst. Die Angst, die im Untergrund eines jeden Menschen lauert. Vordergründige Ängste sind eher mit rationalen Argumenten zu bändigen, etwa: Bei einer Einwohnerzahl von über 80 Millionen lässt sich eine Million Flüchtlinge bewältigen. Oder: Stecke 100 deutsche junge Männer auf engem Raum zusammen, und sie werden die gleichen Aggressionen wie ausländische Männer zeigen.
Diese und andere gute Argumente kommen bei den Menschen nicht an, wenn die Ängste hinter den Ängsten aktiviert werden. Diese hinter- oder untergründigen Ängste werden dann geweckt, wenn Urbedürfnisse des Menschen angesprochen und in Frage gestellt werden. Solche Urbedürfnisse sind die Wahrung der eigenen Identität und Territorialität.
Um unser persönliches Territorium zu sichern und das Gefühl von Schutz und Sicherheit zu haben, investieren wir in Versicherungen, in Alarmanlagen und, nicht zu vergessen, in Zäune um unser Haus und unseren Garten. Selbst viele Amerikaner, die um ihre Wohnanlagen keine Zäune haben, sind dafür ansprechbar; jetzt wollen sie einen hohen Zaun an ihrer Landesgrenze errichten.
Wer in mein Territorium eindringt, gefährdet meine Existenz, meine Identität und durchbricht den Schutzwall, der mir Sicherheit gibt – so funktioniert die Logik des emotionalen seelischen Untergrunds, den sich die Menschen im Laufe ihrer stammesgeschichtlichen Entwicklung erworben haben. Die Reflexe aufgrund dieser Bedürfnisse sind in sich gut und sichern das Überleben.
Doch gnade uns Gott, wenn diese Reflexe von außen manipuliert und von Demagogen für ihre Machtansprüche missbraucht werden. Dann reagiert der Mensch mit jener Angst hinter den Ängsten. Dann werden Emotionen entfesselt, die auch Fake News, Säbelrasseln und irrationale Aktionen im kleinen Leben des Einzelnen und in der großen Welt der Politik in Kauf nehmen.
Zunächst ist die zu erwartende Wahl Emmanuel Macrons zum neuen Präsidenten Frankreichs ein Trostpflaster für die europäische Seele. Sie lässt eine gemäßigte Politik mit weniger Populismus erwarten. Es bleibt aber zu hoffen, dass der wirtschaftsliberaler Kurs Macrons nicht die Armen noch ärmer, die Unzufriedenen noch unzufriedener macht und gerade dadurch Vorlagen für noch mehr Populismus liefert. Mag dem neuen Präsidenten sein Vorname Ansporn sein, alles dafür zu tun, dass alle Menschen der „Grande Nation“ die Erfahrung machen, dass „Gott mit ihnen“ ist.
Dr. Michael Maas: Ausgebrochene Krokodile
Eine Meldung über Krokodile, die in einem Zoo ausbrechen konnten, weil der starke Regen den Wassergraben des Zoos überflutet hatte – das war lange Zeit das Einzige, was wir über die anhaltenden Unwetter in Peru hören konnten. Die eigentlich dramatische Nachricht hatte es schon schwerer. Weit über 100.000 Menschen haben das Dach über dem Kopf verloren. Zahlreiche Todesopfer sind zu beklagen. Straßen sind unterspült, die Infrastruktur kaputt.
Während Menschen starben, amüsierten oder schauderten wir uns an frei umher laufenden Krokodilen. Ich habe mich darüber ungemein geärgert. Vielleicht noch etwas mehr, weil ich selbst vor ein paar Jahren in Peru unterwegs war, die Schönheit des Landes mitbekommen hatte und zugleich die Einheimischen schon damals auf die Zerbrechlichkeit der Natur hingewiesen haben. Peru sei eines der Länder, das am meisten unter dem Klimawandel zu leiden habe, hieß es damals. Jetzt scheint das Ganze nochmals bedrohlicher zu sein.
Und wir? Wir kümmern uns um Krokodile. Man möchte ja unterhalten werden.
Es ist aber zugleich auch wieder einer der Momente, an dem mir klar wurde, wie wichtig unser christlicher Glaube ist, der weder an Landesgrenzen endet, noch die Realität ausblendet.
Die Erzdiözese Freiburg ist Partnerland von Peru. Und zahlreiche Gemeinden haben deshalb in diesen Tagen die Initiative ergriffen. Sie helfen ganz konkret. Und sie stehen den Menschen in Peru im Gebet bei. Sie sorgen dafür, dass das Thema nicht unter den Tisch fällt, sondern die Notlage der Peruaner gesehen wird. Das Ganze findet mitten in der Fastenzeit statt, der Vorbereitungszeit auf Ostern. Wir hören in den Tagesgebeten der Liturgie momentan Sätze wie: „Wende unsere Herzen zu dir hin, damit wir das eine Notwendige suchen und dich in Werken der Liebe verherrlichen."
Es wird deutlich: Das Christentum ist keine spiritualisierende Religion, bei der es für mich selbst darauf ankommt, eine höhere Erkenntnis- oder Heilsstufe zu erlangen. Es ist ein Glaube, der in der Welt stattfindet, in die sich Gott hinein begeben hat. Und deshalb ist uns diese Welt nicht gleichgültig. Fasten meint deshalb auch nicht nur Verzicht, sondern sich neu auf Gott auszurichten und damit auch die Not der Welt in den Blick zu nehmen. Zugleich nimmt der christliche Glaube den Menschen ganzheitlich wahr: Denn so wichtig die konkrete Unterstützung für die Bedürftigen ist, so bedeutsam ist es auch, darum zu wissen, dass wir das bleibende Heil in dieser Welt nicht herstellen können.
Deshalb gehört beides zusammen: die praktische Hilfeleistung genauso wie in der Verbundenheit im Gebet. Beides stärkt und gibt neue Kraft. Es geschieht ohne große mediale Begleitung, es gibt dabei ja auch keine ausgebrochenen Krokodile zu bestaunen. Aber es hilft – weit über die aktuelle Tagesbedrohung hinaus.
Direktor Michael Maas
Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg
Erzbischof Dr. Stefan Heße: Digitalisierung aktiv gestalten!
In dieser Woche findet in Hannover wieder die CeBIT statt. Von Business Security, Digital Office bis zum autonomen Fahren wird präsentiert, was die Wirtschaft für die digitale Transformation bereithält und schon umsetzt. Ich muss zugeben, ich bin fasziniert von den technischen Möglichkeiten und bin gespannt, was sich noch entwickeln wird.
Die Digitalisierung bringt ungeheure Fortschritte auch in gesellschafts-politischen Fragen von Transparenz, Freiheit und Kommunikation. Daneben gibt es aber auch Entwicklungen, die uns unruhig machen: Fake news, digitale Bespitzelung, Cyber-Kriminalität etc. Wie bei allen Entwicklungen gibt es Heilsversprecher und Unglückspropheten. Was es aber jenseits von diffuser Angst oder blindem Fortschrittsoptimismus braucht, ist ein nüchterner Blick auf Möglichkeiten und Grenzen.
Ich lese oft, die Digitalisierung sei vergleichbar mit der Industriellen Revolution und der Entstehung des Kapitalismus. Zu den Vorteilen der Industrieproduktion gesellte sich u. a. das Elend der Arbeiterschaft. Dem wiederum wurde mit Sozialgesetzen und Arbeitnehmerrechten begegnet. Es kommen immer wieder neue Ideen und Technologien auf, die ihre Vorteile haben, aber auch ihre Schattenseiten. Wichtig ist, dass die Menschheit sie nicht nur nutzt, sondern aktiv gestaltet. Dafür braucht es gesellschaftliche Diskussionen über moralische Fragen und schließlich staatliche Gesetze.
Ob eine positive Gestaltung der Digitalisierung gelingen wird, hängt – glaube ich – nur zu Hälfte mit unserer Sicht auf die Technik zusammen. Mindestens genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger, ist unsere Sicht auf den Menschen, auf uns selber. Als Christen verstehen wir den Menschen von Gott her. Psalm 8 etwa besingt die Herrlichkeit des Schöpfers und die Würde des Menschen:
„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott,
du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit.
Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über die Werke deiner Hände,
alles hast du gelegt unter seine Füße.“ (Verse 5-7)
Die Digitalisierung wird dann nachhaltig zum „Segen“ für die Menschheit, wenn sie nicht Selbstzweck wird, sondern Zweck für den analogen Menschen bleibt bzw. wird. Wir müssen die digitale Transformation so gestalten, dass sie jedem Menschen nützt – angefangen bei denen, die arm und benachteiligt sind.
Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz: Ein süßes Gift...
Es war ein gut gehütetes Geheimnis bis kurz vor der Veröffentlichung. Die Überraschung war dafür umso größer: Vergangene Woche erschien das erste Interview von Papst Franziskus mit einem deutschen Journalisten in der Wochenzeitschrit die ZEIT. Ein Papstinterview ist immer noch außergewöhnlich und selten. Nicht nur deshalb war das Echo so stark. In diesem Gespräch erlebt man den Papst unmittelbar und authentisch. Seine nachträglichen Korrekturen am fertigen Text waren wohl ganz spärlich. Papst Franziskus hat die Fähigkeit, offen und ohne Scheu von sich zu erzählen: Was ihn bewegt und bedrängt, worüber er lachen kann – und was ihm zusetzt und ärgert.
Ich bin an einer Stelle besonders hängengeblieben, nämlich als der Journalist den Papst auf seine Rolle als Vorbild anspricht. Hier wird Franziskus brummig: „Ich bin ein ganz normaler Mensch, der tut, was er kann. So fühle ich mich. Und wenn dann jemand wer weiß was über mich sagt, dann tut mir das nicht gut." Das ist keine Koketterie, auch keine zur Schau getragene Demut. Papst Franziskus ist ein guter Menschen-kenner, der dem süßen Gift einer Schmeichelei nicht so leicht auf den Leim geht, denn nüchtern setzt er hinzu: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Idealisierung eines Menschen stets auch eine unterschwellige Art der Aggression ist. Wenn ich idealisiert werde, fühle ich mich angegriffen."
Selbstinszenierungen gehören in einer medialen Welt selbstverständlich zum Alltagsgeschäft: Photos prominenter Zeitgenossen in den Printmedien sind fast immer „bearbeitet" und idealisiert. Politik arbeitet mit der Selbststilisierung und Idealisierung ihrer Protagonisten. In der Industrie geht es um idealisierte Arbeits- und Produktionsabläufe, bei denen nicht selten die Möglichkeiten und Grenzen des Menschen zu wenig Beachtung finden. Aber auch ein Körper- Ernährungs- und Fitnesskult folgt einer Idealisierung des Menschen, wie er eigentlich zu sein hat. Eine „unterschwellige Art der Aggression"?
Papst Franziskus hat Recht. Denn jede Idealisierung ist eine Verweigerung und Feindseligkeit gegenüber der Wirklichkeit. Man will nicht sehen oder kann nicht akzeptieren, wie etwas oder jemand tatsächlich ist. Wo Menschen idealisiert werden oder Menschen Idealisierungen zu folgen haben, herrscht eine gewisse Unbarmherzigkeit: Fehler, Versagen, Schwächen und Grenzen sind dann etwas, was nicht sein kann und nicht sein darf.
Ganz anders der christliche Glaube: Gott kennt den Menschen. Vor Gott darf der Mensch sein, wie er ist. Er kennt die Schwächen. Er weiß um die Fehler und Makel. Er kennt aber auch die Sehnsucht des Menschen nach Heil. Jesus hat sich gerade den Schwachen und den Unvollkommenen zugewandt, denen die nicht dem Idealtypos entsprachen: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken." (Mk 2,17) Menschen, die schuldig geworden sind, hat er Versöhnung ermöglicht und Vergebung zugesprochen.
Papst Franziskus hat Recht: Die Idealisierung eines Menschen ist stets auch eine unterschwellige Art der Aggression. Sie ist ein süßes Gift, das zunächst schmeichelt, dann aber unbarmherzig seine Wirkung zeigt.
Die österliche Bußzeit zeigt einen anderen Weg: Sie ist eine Zeit der Ermutigung, sich den Schattenseiten des eigenen Daseins ehrlich zu stellen und die Selbstinszenierungen im eigenen Leben zu entlarven. Und die Botschaft lautet: Du bist geliebt, mit allem und trotz allem... Nur auf diesem Weg der Versöhnung findet der Mensch zu einem dauerhaften inneren Frieden. Eine Weisheit der alten Kirche sagt: Nur was angenommen ist, kann auch erlöst werden!
Weihbischof Dr. Michael Gerber: Sprache kann…
Sprache kann verzerren und Konflikte anheizen:
Die Kommentare des türkischen Präsidenten zu den in Deutschland geplanten und nun abgesagten Veranstaltungen an verschiedenen Orten zeigen es in diesen Tagen auf eindrucksvolle Weise.
Sprache kann verharmlosen:
Wer die rechtsradikalen Übergriffe in Freital/Sachsen als „Dumme-Jungen-Streiche“ qualifiziert, wird den Leiden derer nicht gerecht, die Opfer solcher Anschläge wurden.
Sprache kann helfen, zu differenzieren:
Gerade angesichts der aktuellen Spannungen sind wir herausgefordert, gut abzuwägen, wo droht wirklich Gefahr, was sind die Ursachen und welche Lösungsansätze zeigen sich?
Sprache kann neue Perspektiven eröffnen:
Vorletzte Woche war ich mit einer Pilgergruppe junger Erwachsener in Jerusalem. Beeindruckt hat uns unter anderem die Begegnung mit einer Ordensfrau der „Kleinen Schwestern“, die jahrelang mit den Mönchen in Tibhirine/Algerien zusammen gearbeitet hatte. Vielen ist die Geschichte dieses Klosters vertraut aus dem Film „Von Menschen und Göttern“. Bereits Anfang der 90er Jahre war das Kloster französischer Trappisten zwischen die Fronten von Regierungstruppen und islamistischen Rebellengruppen geraten. Letztere hatten sich in den Bergen um das Kloster verschanzt. Ein erster Übergriff ließ die Lebensbedrohung spürbar werden, in welcher sich das Kloster befand. Wie auch der Film gut darstellt, analysierten die Mönche ihre Situation genau. Gerade auf diesem Hintergrund war es für sie sehr wichtig, bis in die Sprache hinein zu einer Haltung der Versöhnung zu finden. „Brüder der Berge“ nannten sie die Rebellen und „Brüder der Ebene“ die Regierungstruppen. Bei allem Widerspruch und aller Gefahr, wollten sie im Anderen zuerst den Bruder und die Schwester sehen. Schließlich wurden die Mönche verschleppt und ermordet – bis heute ist unklar, ob die Täter „Brüder der Berge“ oder „Brüder der Ebene“ waren.
Sprache kann inspirieren:
Das Zeugnis der Brüder von Tibhirine wirkt weiter, ihre Worte klingen nach in den Herzen vieler Menschen – bis heute. Sie sind für viele Ermutigung, sich auch heute aktiv für den Dialog und für Versöhnung einzusetzen. Fastenzeit: Eine Zeit, um mich zu entscheiden: Welchen Worten gebe ich in meinem Herzen welche Kraft?
Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch: Herausforderung der Stunde
Jede Zeit ist Gottes Zeit – auch unsere und nicht zuletzt die Fastenzeit. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen, ihre Gefahren und ihre Chancen. Die österliche Bußzeit lädt uns ein, uns der Gefahren bewusst zu werden, daran aber nicht hängen zu bleiben.
Angesichts eines unberechenbaren Autisten, der in Amerika Präsident wurde, heißt die Devise nicht: uns darauf erstarrt zu fixieren, wie das Kaninchen vor der Schlange. Gegen das „America first“ gilt nicht ein „Frankreich zuerst“, ein „Deutschland zuerst“ und erst recht nicht ein „Ich zuerst“, sondern ein „Jesus Christus zuerst“ und mit ihm „Solidarität zuerst“: nicht Mauern und Zäune errichten, sondern Brücken bauen und das Gemeinsame an die Spitze und in die Mitte stellen.
Jesus Christus ist nicht in der Herrlichkeit des Vaters geblieben, sondern aus sich herausgetreten und einer von uns geworden. Die österliche Bußzeit fordert uns heraus, Egoismus und Selbstbehauptung hinter uns zu werfen und das zu tun, was in die Zukunft führt: uns für eine wahrhaft menschliche Welt, eine Gesellschaft in gegenseitiger Achtung und Solidarität, einzusetzen – und dies nicht nur in unserem Land, sondern in Europa und in der ganzen Welt.
Was in eine menschliche Zukunft führt, ist, so Papst Franziskus in seiner Botschaft zur Fastenzeit, „eine Kultur der Begegnung in der einen Menschheitsfamilie“.
Dr. Robert Zollitsch
Erzbischof em., Freiburg
Impuls aus Schönstatt: Ehe für alle
Es ist befremdlich, dass in einer politischen Blitzaktion die Ehe als eine Institution, die in allen Kulturen über Tausende von Jahren - wenn auch in einer gewissen Bandbreite - eindeutig verstanden wurde, nun umdefiniert werden soll. Politisches Kalkül mag die Motivation bilden: Ein leidiges, emotional inzwischen hoch aufgepeitschtes Thema sollte rechtzeitig vor der Bundestagswahl entzaubert werden.
Bei genauerem Hinsehen ergeben sich für das Thema notwendige Differenzierungen, die in der bisher oberflächlich geführten Diskussion zu wenig berücksichtigt wurden.
- Selbstverständlich ist die Würde des Menschen, auch im Blick auf seine sexuelle Orientierung, unantastbar, weshalb es auch einer gesellschaftlichen Minderheit gegenüber keine Diskriminierung geben darf. Diskriminierung zu vermeiden kann aber nicht bedeuten, dass man die Unterschiedlichkeit der Menschen abschaffen könnte. Keiner käme zum Beispiel beim Thema Frauenemanzipation auf die Idee, den Begriff Frau abzuschaffen, weil er traditionell die Gruppe von Menschen so bezeichnet, die unterdrückt wurden. Oder noch radikaler: Um mit den Begriffen Frau und Mann keine falschen Assoziationen auszulösen, dürfte nur noch der Begriff Mensch als Bezeichnung verwendet werden.
- Die Sätze „Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Genesis 1,27), und „Darum werden sie zu einem Fleisch werden.“ (Genesis 2,24) sind keine ideologische Vorgabe der Bibel, sondern zeichnen die allgemeine Menschheitserfahrung nach, geben das wieder, was „von Natur aus“ vorgegeben ist und sich als Kulturgut in verschiedenen Ausformungen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturen entwickelt hat.
- Bezüglich der Anerkennung sexuell gleichgeschlechtlich ortientierter Menschen muss die Kirche neue Wege gehen. Insofern es sich um eine angeborene Homosexualität handelt, soll die Abweichung von der heterosexuellen Orientierung nicht als Fehlleistung der Natur verstanden werden. Man würde sonst behaupten, der Schöpfer habe sich in bestimmten Fällen geirrt. Wenn dem so ist, bedarf es der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft, in der positive Werte wie Liebe, Treue und gegenseitige Unterstützung gelebt werden.
- Der Ruf nach Gleichstellung mit der Ehe von Mann und Frau ist auf dem Hintergrund einer lange verwehrten Würdigung und Wertschätzung nachvollziehbar. Genau dafür wurde bereits vor etlichen Jahren die eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt. In einer pluralistischen Gesellschaft ist der Staat gefragt, Regelungen zu finden, die allen gerecht werden und konsensfähig sind. Das über die Einebnung des Begriffes der Ehe zu tun, höhlt aber dessen genuinen Inhalt aus.
- Zum Inhalt der Ehe gehört gemäß unserer gesamten kulturellen Tradition, dass Frau und Mann nicht nur miteinander geschlechtlich verkehren, sondern auch Kinder als Ausdruck ihrer Liebe das Leben schenken. Wenn nun der Begriff Ehe auf gleichgeschlechtliche Paare angewendet wird, wird die Zeugung von Kindern als wesentliches Element entfallen. Ehe wird zu einem reinen Beziehungsbegriff für zwei Partner, die vor dem Gesetz gleiche Rechte erhalten. Aus alledem folgt, dass der Staat das Recht und auch die Pflicht hat, für gleichgeschlechtliche Paare Rechtsverbindlichkeit und Rechtssicherheit zu schaffen, aber nicht unter dem Begriff der Ehe.
- Um nicht den Anschein ideologischer Argumentation zu wecken, ist die katholisch-kirchliche Sicht von Ehe als Sakrament noch nicht eingebracht. Innerkirchlich gesehen ist allerdings das Verständnis der Ehe als Sakrament ein wichtiger Grund, den Begriff der Ehe für die Partnerschaft von Frau und Mann zu reservieren.
- Bei der Öffnung des Ehebegriffes können sich schnell weitere Fragen ergeben, so etwa die der Legalisierung und Gleichstellung von Geschwisterehen oder auch die Frage nach der Polygamie.
Wenn man die gesellschaftliche Entwicklung realistisch einschätzt, wird es in der Diskussion nicht so differenziert zugehen, wie aufgezeigt. Es wird sehr viel schlichter einfach mit dem Begriff der Diskriminierung argumentiert. Es ist abzusehen, dass unter dem Schlagwort der Diskriminierung Druck in der gesellschaftlichen Diskussion entsteht der begünstigt wird durch eine eigenartige institutionsfeindliche Euphorie (vergl. Konfettiknaller nach der Abstimmung im Bundestag).
Das bedeutet allerdings für (katholische) Christen, dass sich die Begrifflichkeit in Gesellschaft und Kirche auseinander entwickeln werden. Die Christen werden sich am Eheverständnis einer Verbindung von Mann und Frau, die durch Kinder zur Familie wird, orientieren. Die Zukunftsaufgabe wird sei, Ehe und Familie nicht nur über Gesetzgebung sichern zu wollen, sondern sie durch überzeugende Lebensmodelle gesellschaftlich plausibel und anziehend zu gestalten.
Redaktion ImpulsHubertus Brantzen, Heinrich Brehm, Pater Heinrich Walter